Zehn Jahre nach der Aufdeckung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche in Deutschland stellte Anfang März die Deutsche Bischofskonferenz in Mainz ein Modell für Entschädigungszahlungen vor. Bisher wurden nach Angaben der Bischofskonferenz im Durchschnitt 5.000 Euro „Leistungen in Anerkennung des Leids“ für etwas mehr als 2.000 Menschen empfohlen.
Die neuen Leitlinien sehen ein unabhängiges Expertengremium vor, das die Höhe der Zahlungen (bis zu 50.000 Euro) festsetzt. Opferverbände sind enttäuscht, weil das Modell weit hinter ihren Erwartungen zurückbleibt. Sie stellen sich Zahlungen zwischen 40.000 und 400.000 Euro vor. In Anbetracht ihres Milliardenvermögens könnte die Kirche das sozusagen aus der Portokasse bezahlen.
Aufklärung gegen den Widerstand der Kirche
Nachdem 2010 immer mehr Fälle von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche bekannt wurden, hatten 2011 27 Bistümer eine Studie in Auftrag gegeben. Diese war 2013 an den Bischöfen gescheitert, die Einfluss auf die Ergebnisse nehmen wollten. Die Forscher hatten keinen direkten Einblick in die Akten. Vielmehr lag die Kontrolle bei der Kirche, die sich außerdem das Recht heraus nehmen wollte, Veröffentlichung „aus wichtigem Grund“ zu verbieten. Der Kriminologe Christian Pfeiffer, Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, kritisierte die Vernichtung und Manipulation von Akten und den Widerstand der Kirche gegen eine unabhängige Aktenanalyse durch Richter und Staatsanwälte.
Es gab Spekulationen, dass das Projekt auch daran scheiterte, dass der frühere Erzbischof und damalige Papst Ratzinger geschützt werden sollte. Sie wurden von Bischof Ackermann selbstverständlich als „unredlich“ zurückgewiesen. Das Prinzip ist: Nur das zugeben, was nicht mehr vertuscht werden kann und sowieso ans Licht kam.
Keine ernsthaften Konsequenzen für Missbrauch
Im März 2014 stellte Bischof Ackermann dann ein neues Projekt vor. Die Studie mit dem Titel „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ (MHG-Studie) sollte klären, „ob es Strukturen und Dynamiken in der katholischen Kirche gab oder gibt, die Missbrauch fördern“. Wieder hatten nur Kirchenmitarbeiter Zugang zu den Personalakten. Wie die Verantwortlichen mit den ihnen bekannt gewordenen Missbrauchsfällen umgingen, blieb ungeklärt. Wie 2011 verlief die Untersuchung auch hier nicht ohne Widerstand und Kontrolle durch die Kirche, das eigentliche Objekt der Untersuchung. In der Zusammenfassung der Studie heißt es unter anderem: „Das Forschungsprojekt hatte keinen Zugriff auf Originalakten der katholischen Kirche. Alle Archive und Dateien der Diözesen wurden von Personal aus den Diözesen oder von diesen beauftragten Rechtsanwaltskanzleien durchgesehen.“
Die Studie kam 2018 zu dem Ergebnis, dass 3.677 Minderjährige Opfer von Priestern wurden. Demnach waren 1.670 Priester (mehr als 5%) aktenkundig Beschuldigte, 40% davon waren Serientäter. Strafanzeige gab es nur gegen ein Drittel und zwar meistens von den Betroffenen, nicht von Kirchenvertretern. Zwei Drittel der Täter hatten noch nicht einmal innerkirchliche Strafen zu befürchten. Mehr als die Hälfte der Opfer war zum Tatzeitpunkt maximal 13 Jahre alt. In jedem sechsten Fall kam es zu einer Vergewaltigung. Drei Viertel der Betroffenen standen mit den Tätern in einer kirchlichen oder seelsorgerischen Beziehung.
Die Zahl 3.677 wird als ein Mindestwert angesehen, nicht nur, weil Akten manipuliert wurden, sondern auch, weil Institutionen wie z. B. die Regensburger Domspatzen nicht berücksichtigt wurden.
Als die Studie in einer Pressekonferenz vorgestellt wurde, antwortete Kardinal Marx auf die Frage, ob irgendein Verantwortlicher angesichts dieses Skandals Konsequenzen für sich in Betracht zöge, kurz und knapp: „Nein!“
Keine Kirchenrepublik
Es ist enttäuschend, dass nach einem solchen Skandal noch immer kein einziger Kirchenvertreter – außer mit Lippenbekenntnissen – Verantwortung übernimmt. Und das in einer Institution, die sich so gern als moralische Instanz aufführt. Es ist erschreckend, dass diese Paralleljustiz überhaupt möglich ist. Straftäter sind in der katholischen Kirche quasi vor rechtlichen Konsequenzen geschützt.
Wir fordern das Ende dieser Paralleljustiz, die verhindert, dass solche Skandale von neutralen, staatlichen Ermittlern aufgeklärt werden. Es darf keine derartigen Sonderrechte für Kirchen geben – weder vor der Justiz noch anderswo. Und es braucht öffentliche Kontrolle dieser verantwortungslos agierenden Institution.