Die homöopathische Arzneimittelprüfung

Eine Kritik im Rahmen der Aktion 10:23
Etwa 602 Trilliarden Moleküle sind in einem Mol enthalten, der Einheit für Stoffmengen. Die genaue Zahl nennt sich Avogadro-Konstante [1] und gibt die Anzahl von Molekülen an, aus deren Atomgewicht sich eine analoge Gramm-Zahl ergibt. Wassermoleküle haben beispielsweise ein Atomgewicht von 18, 1 Mol Wasser wiegt entsprechend etwa 18 Gramm. Nimmt man also 18 Gramm Wasser und verdünnt es um die Zahl der Avogadro Konstante, also grob den Faktor 6 mal 10 hoch 23, ist statistisch nur noch eins der ursprünglichen Moleküle zu erwarten.

Gäbe es nun eine medizinische Lehre, nach der Wirkstoffe zu verdünnen wären, könnte man als Faustregel davon ausgehen, dass wenn man mehr als 23 Mal um den Faktor 10 verdünnt, die Wahrscheinlichkeit schnell gegen Null geht, dass auch nur ein Molekül des Wirkstoffs noch vorhanden ist.

Bekanntlich gibt es diese Lehre und sie ist Teil des Deutschen Arzneibuchs [2], welches die Grundlage des Deutschen Arzneimittelgesetzes bildet, – die Homöopathie.

Skeptiker auf der ganzen Welt setzten sich für Aufklärung über die Implausibilität und Wirkungslosigkeit der Homöopathie ein. Um diese zu demonstrieren, wurden immer wieder öffentlich Überdosen homöopathischer Präparate eingenommen. Eine Wirkung, die über einen erhöhten Insulinspiegel
durch die vielen, aus reinem Zucker bestehenden Globuli hinausgeht, ist nicht bekannt.
In Anspielung auf die Avogadro-Konstante wurde der Name „Aktion 10:23“ vergeben [3] und als Datum häufig der 23.10. gewählt.
Anlässlich des 23.10.2023 wollen auch wir zur Aufklärung über Homöopathie beitragen. Dass dies weiterhin nötig ist, wurde erst am 3. Oktober 2023 wieder deutlich, als bei „Türen auf mit der Maus“ [4] die beliebte Kinder Wissenssendung bei einem Homöopathie-Hersteller zu Gast war, um die Produktion der fälschlich als Naturheilkunde dargestellten Pseudomedizin zu besuchen.
Im Folgenden beleuchten wir einen sonst wenig beachteten, aber wichtigen Aspekt:


Homöopathische Arzneimittelbilder
Zur Erinnerung: Nach dem der Homöopathie zugrundeliegenden pseudowissenschaftlichen Ähnlichkeitsprinzip (Simile-Prinzip) behandelt man Beschwerden mit etwas, das möglichst genau die gleichen Beschwerden hervorruft, wodurch angeblich die passenden Selbstheilungskräfte stimuliert
werden würden.
Um zu wissen, welches Präparat wann einzusetzen ist, schauen Homöopathen in passende sogenannte homöopathische Arzneimittelbilder, die im Rahmen einer homöopathischen Arzneimittelprüfung erstellt wurden. Wie das funktioniert, wird beschrieben in:

Bekanntmachung über die Zulassung, Nachzulassung und Registrierung von Arzneimitteln [5]:

„Eine Homöopathische Arzneimittelprüfung (HAMP) ist eine klinische Prüfung von Stoffen in Form von Ausgangsstoffen, Urtinkturen oder Verdünnungsgraden (Potenzen). Auch fixe Kombinationen können geprüft werden. Die Stoffe werden gesunden Probanden (Prüfern) verabreicht, um Wirkungen hervorzurufen, aus denen das homöopathische Arzneimittelbild abgeleitet werden kann. Ein Prüfer ist ein gesunder Proband, der an der homöopathischen Arzneimittelprüfung teilnimmt. Der Prüfer zeichnet sein Befinden vor, während und nach der Gabe der Testsubstanz schriftlich auf. Er berichtet dem Untersucher und wird vor und bei Bedarf während der Prüfung von diesem untersucht.“

Auf der Skeptiker-Site Psiram [6] findet sich dazu:

„In der Homöopathie existiert […] keine einheitliche Regel oder Vorschrift, wie die homöopathische Arzneimittelprüfung durchzuführen sei. So gibt es beispielsweise persönliche Arzneimittelprüfungen, Seminar Arzneimittelprüfungen, Traumprüfungen, Meditationsprüfungen, Bioresonanz-AMP und so weiter.
Prinzipiell wird das Mittel an einem gesunden Probanden (auch im Selbstversuch) oder einem Probandenkollektiv in starker Verdünnung ausprobiert und die beobachteten, berichteten oder geträumten Symptome notiert. In der Regel wird dabei das Mittel nicht auf verblindete Weise mit einem Placebomittel verglichen. Ebenso fehlt in der Regel auch eine valide Randomisierung.“

Das Prinzip deckt sich mit der sogenannten homöopathischen Erstverschlimmerung. Die Vorstellung ist, dass die Präparate bei ausreichender Exposition auch bei Gesunden ihre jeweiligen Symptome verursachen, wodurch beim Kranken ja dann die entsprechenden Selbstheilungskräfte aktiviert werden
sollen. Für das beliebte Arnica steht auf www.globuli.de [7]:

„Haut: Die Haut ist schwarz und blau, kann jucken oder brennen. Treten Entzündungen auf, neigen diese zu Eiterbildung.“

oder

„Schlaf: Der Patient kann trotz Übermüdung nicht schlafen, träumt vom Tod und von verstümmelten Körpern, schreckt nachts oft auf. Während des Schlafes kann es zu unwillkürlichem Stuhlabgang kommen.“

Diese Listen sind lang und detailliert, wobei die referenzieren Bücher noch viel umfangreicher sind. Hieraus ergibt sich auch die Illusion, Homöopathie sei individuell und ganzheitlich: Der Homöopath steht vor der Herausforderung, in einem Wust beschriebener Symptome von Verstimmtheit über rissige Lippen bis hin zu blutigem Auswurf das passende Präparat zu finden.

Dass man die homöopathischen Prämissen beliebig weiterspinnen kann, zeigen Beispiele wie das Buch „Radioaktive Substanzen in der Homöopathie“ [8]. Dort wird unter anderem die Behandlung von Menschen beschrieben, die „von großen historischen Katastrophen beeinflusst wurden, wie Hiroshima, Tschernobyl,
Fukushima oder einem Atomtest.“

Aufbauend auf der irrigen Annahme einer Wirksamkeit des Ähnlichkeitsprinzips, basiert Homöopathie mit ihren Arzneimittelbildern also auf so etwas wie hochgradig subjektiver und unsystematisch ermittelter „Evidenz“. Wären die Annahmen der Homöopathen wahr, dann müssten sich Arzneimittelbilder jederzeit unter wissenschaftlichen Bedingungen reproduzieren lassen. Skeptiker, die zur 10:23-Aktion ein ganzes Fläschchen mit beispielsweise Nux Vomica (Brechnuss) der Potenzierung C30 (30 Mal im Verhältnis 1:100 verdünnt), im homöopathischen Sinne „starkem Zeug“, einnehmen, müssten irgendetwas in Richtung Übelkeit verspüren. Tun sie aber nicht.

Aus epistemologischer Sicht ist dies ein wichtiger aber selten betrachteter Aspekt der Homöopathie-Kritik: Die homöopathischen Arzneimittelbilder lassen sich unter wissenschaftlichen Bedingungen, insbesondere Randomisierung und Doppelverblindung, nicht reproduzieren. Homöopathen sind auch nicht in der Lage, im Nachhinein zu hochpotenzierten Präparaten zu rekonstruieren, welches es war.

Das Kuriose ist daher, dass selbst wenn Homöopathie irgendeine reale Wirkung haben sollte – die Homöopathen wissen nicht, welche!

Dabei findet sich auf Seiten der pseudowissenschaftlichen Carstens-Stiftung sogar ein Artikel [9], wie man die Prüfungen randomisiert und doppel-verblindet durchführen könnte, und wir konnten zumindest eine Studie finden, die danach gearbeitet hat – erwartungsgemäß ohne Ergebnis [10].


Fazit
Bis heute gilt: Die zur Wirksamkeit von Homöopathie vorliegende Evidenz ist ein starker Hinweis darauf, dass keine, über den Placeboeffekt hinausgehende Wirksamkeit vorliegt [11, 12, 13]. Die Annahmen der Homöopathie widersprechen zudem extrem gut abgesicherten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen.

Damit Homöopathie funktionieren könnte, müssten es auch die Arzneimittelprüfungen und die resultierenden Arzneimittelbilder tun. Diese bestehen aber lediglich aus den subjektiven, unverblindeten, nicht reproduzierbaren Eindrücken weniger Personen. Dies ist ein weiterer Aspekt, der Homöopathie zur esoterischen, völlig unplausiblen Pseudomedizin macht.

Trotzdem steht Homöopathie weiter im Deutschen Arzneimittelbuch, sie wird an Lehrstühlen vermittelt und homöopathische Behandlungen werden teilweise von Krankenkassen übernommen.
Es wird endlich Zeit für rationale Politik.

Zugabe
Für alle, die nun noch nicht genug Esoterik hatten, bieten wir noch einen kleinen esoterischen Exkurs in die schillernde Welt der Homöopathie.

Komplexmittel und die Maus
Denn es geht noch viel komplizierter – mit homöopathischen Komplexmitteln. Diese mischen – entgegen der ursprünglichen Lehre von S. Hahnemann – Präparate und setzen dabei oft nur niedrige homöopathische Potenzen ein.

Die Sendung mit der Maus [4] hatte mit Pflüger einen entsprechenden Hersteller besucht. Beispielsweise fällt bei dem Präparat A-Bomin [14] in der Zusammensetzung auf: Es sind verschiedene pflanzliche Wirkstoffe in niedrigen Potenzierungsstufen drin, manches in D1 und D2. Dies entspricht einer Verdünnung um den Faktor 10 bzw. 100. Das Mittel wird in Tropfen gegeben, es ist also nicht auf Zuckerkügelchen (Globuli) aufgesprüht.

Das Präparat enthält also tatsächlich Wirkstoffe!

Dann ist auch nicht verwunderlich, wenn diese Mittel eine gewisse pharmakologische Wirkung haben. Und wenn diese scheinbar positiv ausfällt, wird sie aber typischerweise dem Homöopathie-Brimborium zugeschrieben.

Homöopathie in der Anthroposophie
Die anthroposophische Homöopathie [15] ist noch einmal auf einem ganz anderen Esoterik-Level. Der Gründer Rudolf Steiner integrierte die Homöopathie einfach in sein okkultistisches Wahn-System, und dort gilt, was er als Hellseher „geschaut“ hat.

Kurz: Homöopathie wirke bei Krankheiten, die ihren Ursprung vermeintlich vom Kopfe hätten, beispielsweise Grippe. Außerdem käme es auch darauf an, wie ein Präparat hergestellt wurde, ob man dabei angebliche rhythmische Prozesse der Natur berücksichtigt hat. Durch immer höhere Potenzierung (Verdünnen plus Verschütteln), bei der man ja den physikalischen Stoff entfernt, käme man in negative Bereiche, bis man quasi Schulden bei der Natur macht, wodurch dann neue Zustände des Präparats erreicht würden. Und wenn man dann zurück ins Positive und wieder ins Negative geht, wird nochmal alles anders. Dies sei analog zum Pflanzenwachstum.

Diese rhythmischen Prozesse werden nun beispielsweise erreicht [16], indem man – Okkultismus-Alarm! – während der Herstellung die Substanzen über mehrere Wochen in stetem Rhythmus morgens auf die menschliche Körpertemperatur von 37 °C erwärmt und abends wieder stark herunterkühlt. Während der Temperaturwechsel wird umgerührt und Licht ausgesetzt, sonst abgedunkelt.

Und in der Anthroposophie gibt es beispielsweise noch eine ganze Lehre zu sogenannten Planetenmetallen [17], die wiederum mit Organen korrespondieren. Auch diese Konzepte werden mit Homöopathie vermischt, um die Wirkung vermeintlich zu verstärken bzw. um die Leute nicht zu vergiften. Diese Zauber-Mittel sind im Deutschland von 2023 apothekenpflichtig!

Quellen
[1] chemie.de, Avogadro-Konstante, abgerufen 22.10.2023
[2] Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Arzneibuch, abgerufen 22.10.2023
[3] Wikipedia, Aktion 10:23
[4] WDR, 2023. Türen auf mit der der Maus, Detailansicht: Naturheilmittel Hersteller (33378 Rheda Wiedenbrück)
[5] Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Bekanntmachung über die Zulassung, Nachzulassung und Registrierung von Arzneimitteln, Empfehlungen der Kommission D nach § 25 Abs. 6 und Abs. 7 des Arzneimittelgesetzes zur Planung und Durchführung homöopathischer Arzneimittelprüfungen vom 18. Nov. 1998
[6] Psiram, Homöopathische Arzneimittelprüfung, abgerufen 22.10.2023
[7] www.globuli.de, Arnica, abgerufen 22.10.2023
[8] Le Roux, Patricia, 2013. Radioaktive Substanzen in der Homöopathie
[9] Carstens-Stiftung, Dr. Michael Teut et al, 2012. Homöopathische Arzneimittelprüfungen
[10] Trials 14, M. Teut et al., 2013. Homeopathic drug proving of Okoubaka aubrevillei: a randomised placebo-controlled trial
[11] Journal of Clinical Epidemiology, K Linde et al., 1999. Impact of study quality on outcome in placebo-controlled trials of homeopathy
[12] Journal of Clinical Epidemiology, J. A.C Sterne, D. Gavaghan, M. Egger, 2000. Publication and related bias in meta-analysis: Power of statistical tests and prevalence in the literature
[13] National Health and Medical Research Council, 2015. NHMRC Information Paper: Evidence on the effectiveness of homeopathy for treating health conditions
[14] Pflüger, A-Bomin, abgerufen 22.10.2023
[15] AnthroWiki, Anthroposophie und Homöopathie, abgerufen 22.10.2023
[16] Weleda, Herstellungsverfahren in der anthroposophischen Medizin, Das Rh-Verfahren, abgerufen 22.10.2023
[17] AnthroWiki, Planetenmetalle, 2000