10 Thesen für einen liberalen Feminismus

Viele, vermutlich sogar die meisten Menschen in Deutschland unterstützen umfassend feministische Forderungen. Trotzdem würden sich viele von ihnen nicht als Feministen bezeichnen. Radikale Strömungen haben die Sympathie für den Feminismus in der Gesellschaft verspielt. Sie wollen Freiheit durch Verbote und Regeln erzwingen. Wir wollen Freiheit durch Individualismus erkämpfen. Wir wollen einen liberalen Feminismus. Unsere 10 Thesen [1] dazu:

1. Feminismus ist liberal, Liberalismus ist feministisch

Feminismus ist ein breites Feld mit vielen verschiedenen Phasen und Strömungen. Grundsätzlich teilt er mit dem Liberalismus aber dieselben Werte: Freiheit und Gleichstellung von Individuen und die Schaffung der Möglichkeiten zur Selbstentfaltung nur begrenzt durch die eigenen Fähigkeiten und den eigenen Willen.

Deshalb dürfen wir feministische Liberale die Freiheitsrechte von Frauen nicht dem linken Spektrum überlassen. Ein gemeinsamer Nenner aller feministischen Strömungen ist die Überzeugung, dass Frauen von gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten und Einschränkungen in ihrer Lebensgestaltung befreit sein sollen.

Somit setzt sich Feminismus für die positive und negative Freiheit der Frau ein. Gleichzeitig richtet der liberale Feminismus auch ein Augenmerk darauf, grundsätzliche Geschlechtergerechtigkeit herzustellen und allen Menschen mündige, freie und gleiche Entscheidungen zu ermöglichen.

2. Liberaler Feminismus tritt für das Individuum ein

Das 21. Jahrhundert gehört dem liberalen Feminismus und dem liberalen Humanismus – der Überzeugung, dass Selbstbestimmung und Eigenverantwortung die fundamentalen Voraussetzungen für ein erfülltes Leben sind. Die wichtigste Minderheit ist das Individuum. Klassenkampf und Identitätspolitik bedeuten nicht Fortschritt. Sie sind wiederbelebte Dogmen des 20. Jahrhunderts, über die Linke und Rechte ihre Ideologiekriege austragen.

Wir sehen Frauen nicht als grundsätzlich unterdrückte Opfer der Männer in einem Machtkampf der Geschlechter. Wir stellen uns gegen das Narrativ vom “schwachen Geschlecht”, das bevormundende normative oder institutionellen Zwänge braucht, um sich zu behaupten. Frauen sind keine Schachfiguren auf einem Spielbrett, die man per Gesetz herumschiebt, um eine Statistik zu schönen oder die man für den eigenen Machtkampf instrumentalisiert. Wir sind davon überzeugt, dass Individuen unabhängig von ihrem Geschlecht in der Lage sind, Entscheidungen und deren Konsequenzen zu durchdenken, abzuwägen und für sich selbst zu entscheiden.

Wir wollen Menschen ermutigen, für ihre Rechte einzutreten und sich aus Unmündigkeit und einengenden Rollenbildern zu befreien. Die Möglichkeit, sich frei nach eigenen Wünschen und Interessen entscheiden zu können, führt automatisch zu einer gewissen Ungleichverteilung und ist grundsätzlich eine gute Eigenschaft der freien und offenen Gesellschaft. Wir wollen jedem Menschen ermöglichen, seine selbstgesteckten Ziele zu erreichen. Gesellschaftliche Hindernisse die diesen Zielen entgegenstehen wollen wir ausräumen. Nur die eigenen Fähigkeiten, Neigungen und der eigene Wille sollten maßgeblich sein!

3. Liberaler Feminismus ist kein Klassen- und Geschlechterkampf

In einigen Strömungen des Feminismus blühen irrationale und gefährliche Ideologien auf. Sozialistische Feministen begreifen das Verhältnis zwischen Frau und Mann als einen ewigen Klassenkampf und den Kapitalismus als System weiblicher Ausbeutung. Postmoderne Feministen leugnen die Existenz biologischer Geschlechterunterschiede und überhaupt die Existenz wissenschaftlicher Erkenntnisse, da diese stets nur das “Patriarchat” stützen wollten. Kulturrelativismus führt viele zu einer falsch verstandenen Toleranz gegenüber frauenfeindlichen Einflüssen des Islam.

Diskriminierung, Rassismus und Sexismus wird so umdefiniert, dass weiße, heterosexuelle Männer immer Täter, aber nie Opfer sein können. Ungleichbehandlung wird abgelehnt, außer es darum geht, Frauen und Minderheiten zu bevorzugen, um eine “jahrtausendelange Ungerechtigkeit” wiedergutzumachen. In der Konzentration auf die Zuordnung nach einer Eigenschaft wird die Komplexität der intersektionalen Welt ignoriert.

Nach dieser Logik braucht eine Frau aus der obersten Elite eine Quote, um den letzten Karrieresprung in den Konzernvorstand zu schaffen und die Extra-Million zu verdienen, denn nur so könne Geschlechtergleichheit erreicht werden. Ein weißer Mann der Unterschicht ist jedoch stets ein potentieller Unterdrücker – es sei denn, er ist schwul oder behindert, dann wird er unterdrückt. Das Label ist entscheidender als der Mensch.

Vermeintliche Repräsentation und das Signalisieren guter Absichten sind wichtiger als das Endergebnis. Der liberale Feminismus steht entgegengesetzt zu derlei Ideologien und fokussiert das Individuum. Er ist nicht blind für Sonderfälle. Er erkennt die komplexen Mechanismen unserer Welt an. Er ist konsequent, angemessen und gerecht, denn für ihn zählt nur der einzelne Mensch.

4. Liberaler Feminismus verpflichtet

Wir Liberale sind in der Pflicht, eine positive Strömung des Feminismus zu prägen – einen modernen, liberalen Feminismus, der die Kernziele des Feminismus und damit auch des Liberalismus weiter in die heutige Gesellschaft trägt. Antifeministische Aussagen passen nicht in eine liberale Organisation, da diese sich immer auch gegen die positiven Gleichberechtigungsbestrebungen des Feminismus richten.

Wir stellen uns gegen alle Strömungen des Feminismus, welche die Geschlechter mit neuen Freiheitseinschränkungen einengen oder Männlichkeit grundsätzlich negativ betrachten. Einzelne Strömungen haben nicht die alleinige Deutungshoheit über den Begriff Feminismus. Wir wollen diesen aus seiner negativen Konnotation als Kampfbegriff befreien und mit mehr positiven Inhalten füllen.

Der liberale Feminismus verpflichtet sich, zivilgesellschaftlich ein Bewusstsein für noch bestehe Probleme bei der Gleichstellung und Gleichbehandlung der Geschlechter zu schaffen. Dabei lebt der liberale Feminismus von der freiwilligen Selbstverpflichtung zur Zivilcourage, Selbsterkenntnis und Eigenverantwortung einzelner Individuen.

5. Ein liberaler Feminismus will einschließen, nicht ausgrenzen

Ein liberaler Feminismus will Frauen nicht zu Ungunsten der Männer emanzipieren, sondern seinen Teil zur Emanzipation und Gleichberechtigung aller Individuen beitragen. Langfristiges Ziel ist es, Diskriminierungen und überholte Rollenzuschreibungen für alle Geschlechter aufzuheben und so die freie Entfaltung jedes Menschen zu ermöglichen. Emanzipation – die Befreiung aus der Abhängigkeit und Unmündigkeit – ist immer eine Befreiung Einzelner aus den Normen und Bevormundungen von gesellschaftlichen Gruppen.

Die Emanzipation von Frauen erleichtert dabei die Emanzipation der Männer – und umgekehrt. Denn verschiedene Männer- und Frauenbilder haben ihren Platz in einer liberalen Gesellschaft und tragen zur Verwirklichung eines liberalen Feminismus bei. Liberaler Feminismus will Chancengerechtigkeit zur Selbstverwirklichung schaffen – auch für Männer. Nach wie vor gibt es feste Rollenzuschreibungen. Weichen Menschen davon ab oder weisen diese Zuschreibungen zurück, wird dies in vielen Bereichen der Gesellschaft kritisch bis negativ bewertet.

Durch Aufbrechen dieser althergebrachten Muster und durch den Einsatz für selbstbestimmte Entscheidungen in allen Lebenslagen kann sich jeder Mensch unabhängig von seinem Geschlecht frei entfalten, und es entsteht echte Wahlfreiheit. Dies kann aber nur gelingen, wenn Männer und Frauen gemeinsam für einen liberalen Feminismus eintreten.

6. Die kleinste Minderheit ist das Individuum

Auch wenn Geschlechterstereotype wahre Kerne haben, sind sie doch eine starke Vereinfachung und Überspitzung und können dem Individuum nicht gerecht werden. Im Bewusstsein, dass alle Menschen in unserer Gesellschaft durch Stereotype geprägt sind, strebt ein liberaler Feminismus daher eine versöhnliche, auf das einzelne Individuum bezogene Grundhaltung an. Existierende Unterschiede zwischen den Geschlechtergruppen werden nicht geleugnet, doch sind die Unterschiede zwischen einzelnen Individuen innerhalb dieser Gruppen wesentlich größer. Ziel des liberalen Feminismus ist es, aufzuklären und diejenigen Denkmuster abzubauen, die zu Benachteiligung aufgrund von Geschlechterzughörigkeit oder sexueller Orientierung führen. Wenn jeder Mensch für sich alleine stehen kann und nicht durch seine Gruppenzugehörigkeit bewertet wird, ist ein großer Schritt hin zu einer modernen, freien und offenen Gesellschaft geschafft.

7. Liberaler Feminismus ist ökonomisch

Die Marktwirtschaft bietet Frauen die besten Möglichkeiten zur Selbstentfaltung und Einbringung ihrer Fähigkeiten und Talente. Ein liberaler Feminismus stellt sich nicht gegen marktwirtschaftliche Prinzipien, sondern will Wettbewerbshemmnisse auflösen und Chancen schaffen.

Arbeitgeber, die aufgrund von überholten Rollenbildern und Vorurteilen darauf verzichten, Frauen anzustellen oder sie schlechter bezahlen, haben gegenüber ihren Konkurrenten einen direkten Nachteil, denn sie verzichten auf Fachkräfte. Gerade in unserer heutigen Zeit des Umbruchs und Wandels des Arbeitsmarktes mit allen seinen Herausforderungen sind ökonomische Faktoren entscheidende treibende Kräfte der Gleichberechtigung. Wir wollen diese nutzen und politisch unterstützen.
Unsere Gesellschaft kann es sich nicht leisten, auf einen Teil ihres Potenzials zu verzichten. Frauen sind ebenso talentiert, fähig und wertvoll wie Männer. Sie können in den gleichen Bereichen tätig sein. Alte Rollenbilder wollen wir durch Aufklärung und Unterstützung abbauen. Selbstverwirklichung ist gelebte Emanzipation.

Deshalb wollen wir Mädchen und Jungen bereits von Anfang an das Bewusstsein vermitteln, dass nur sie, ihre Neigungen und Fähigkeiten, bestimmen sollen, welchen Weg sie gehen und welchen Beruf sie einmal ausüben möchten.

Jede und jeder soll sich frei entfalten und ihr bzw. sein Leben gestalten können. Dazu gehört auch die freie Entscheidung, ob und wie lange er oder sie die Berufslaufbahn zur Kindererziehung unterbricht oder die Arbeitszeit dafür reduziert. Flexible Arbeits- und Betreuungsmodelle und die notwendige Infrastruktur für diese Freiheit sind deshalb ein wichtiges Anliegen für uns.

8. Liberaler Feminismus ist pragmatisch

Gleichberechtigung wird nicht in den Universitäten, sondern im Alltagsleben der Menschen erstritten. Viele Strömungen des Feminismus haben sich in einer Fülle an abstrakten Theorien verloren. Sie stürzen sich in einen Kampf gegen Kapitalismus, Rassismus, Eurozentrismus, Neokolonialismus und andere ausgemachte Übel der Welt. Das eigentliche Ziel gerät dabei aus den Augen: Die Emanzipation der Frau. Paritätische Wortbeiträge in Seminaren an Universitäten unterstützen keine von Armut bedrohte Alleinerziehende. Vorträge über “Patriarchat und Kapitalismus” unterstützen eine junge Arbeitnehmerin nicht bei ihrer Gehaltsverhandlung. Ein Gendersternchen in der Stellenausschreibung wird den Abteilungsleiter nicht daran hindern, seine Kollegin mit Anzüglichkeiten zu belästigen.

Liberaler Feminismus will Frauen und Männer befähigen, für ihre Gleichberechtigung selbstbewusst einzutreten. Er setzt im Alltag an und unterstützt das Individuum bei der Überwindung von Rollenbildern und Ungerechtigkeiten. Dafür braucht der liberale Feminismus keine abstrakten Theorien, Schuldzuschreibungen und Feindbilder, sondern eine pragmatische Politik und couragierte Mitmenschen.

9. Liberale Familienpolitik ist Politik für alle

Familienpolitik ist mehr als nur Politik für Mütter und Kinder. Familie ist für Liberale der Ort, an dem Menschen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, sexueller Orientierung oder anderen Kategorien füreinander Verantwortung übernehmen und sich gegenseitig unterstützen. Dieses moderne Bild von Familie muss gleichberechtigt mit dem klassisch-konservativen Bild der Familie stehen. Der Staat hat die Pflicht jedem Menschen die Verwirklichung seines eigenen Lebens- und Gemeinschaftsmodells zu ermöglichen und keines zu bevorzugen. Dafür muss er Rahmenbedingungen schaffen, wozu beispielsweise eine faire und gleichberechtigte Besteuerung verschiedener Beziehungs- und Familienkonstellationen oder auch ein diskriminierungsfreies Adoptionsrecht zählen. Allen Individuen sollte ermöglicht werden, ihr Leben frei und gleich gemeinsam gestalten und füreinander sorgen zu können. Nur dann kann jeder Einzelne sich voll in der Gesellschaft verwirklichen und ein gleichberechtigter Teil in ihr sein.

10. Freiheit ist Individualismus und Vielfalt

Der liberale Feminismus stellt Forderungen, die zur Verwirklichung einer Gesellschaft mit freien und gleichen Individuen beitragen. Ziel ist eine Gesellschaft, in der Feminismus, Anti-Rassismus, die LGBTI*-Bewegung und alle weiteren emanzipatorischen Bewegungen überflüssig werden. Gesellschaftliche Einschränkungen, die sich allein darauf beziehen, welches Geschlecht, welche Herkunft, sexuelle Orientierung oder sonstige Merkmale ein Individuum hat, haben in einer liberalen Gesellschaft keinen Platz!


  1. Unsere 10 Thesen basieren auf den “9,5 Thesen über den Liberalen Feminismus” und sind hier teilweise in abgewandelter Form und mit eigenen Ergänzungen übernommen.