Armin Laschets Versagen in der Krise

Armin Laschet, Ministerpräsident von NRW, hat in der Corona-Krise eine denkbar schlechte Figur abgegeben. Sein Versagen, das zunächst nur nach kleinen Fettnäpfchen ausgesehen hatte, scheint tatsächlich systemischer Natur zu sein. Der Verdacht erhärtet sich durch seine eigenen Worte: „Mir sagen nicht Virologen, welche Entscheidungen ich zu treffen habe.“ Dies sei ihm unbenommen, doch hätte eine vernünftigere Einstellung größeren Schaden vermeiden können. Stattdessen müssen nun viele Menschen unter seiner wissenschaftsignoranten Einstellung leiden. Immerhin: Die lange Reihe von Fehlentscheidungen dürfte ihm letztlich die Chancen auf die Kanzlerschaft genommen haben – langfristig freut das Freunde der Wissenschaft, aktuell ist das aber natürlich ein schwacher Trost.

Dass der erste richtige Hotspot in Deutschland ausgerechnet in Heinsberg und damit in NRW lag, dafür konnte Laschet natürlich nichts. Ebenfalls kann man sicherlich über seinen Fauxpas der falsch aufgesetzten Schutzmaske hinwegsehen. Diese Krise war für uns alle neu und ungewohnt und anfängliche Unsicherheiten sind nur allzu menschlich. Doch andere, deutliche Fehlentscheidungen lassen sich nicht ignorieren.

Lockerungen um jeden Preis

Zunächst pochte er besonders vehement darauf, die Maßnahmen schon frühzeitig im April zu lockern. Basis dieser Forderung war ausgerechnet die Heinsberg-Studie. Hier stellte sich später heraus, dass Hendrik Streeck, der leitende Autor der Studie und ein eher unbekannter Virologe, von der Firma Storymachine auf eher fragwürdige Weise bei der Publikation unterstützt wurde – augenscheinlich mit dem Ziel, die Studie und die daraus abgeleitete Empfehlung für schnelle Lockerungen effektiv zu verbreiten.

Die vermeintlichen Erkenntnisse der Studie passten genau in dieses Narrativ. Eine angeblich bereits größere Durchseuchung der Bevölkerung sollte aufzeigen, dass die Sterblichkeit drastisch überschätzt wird. Doch die Studie enthielt methodische Fehler, und die angeblichen Anzeichen für eine beginnende Herdenimmunität entsprachen nicht der Realität.

Das alles hat Laschet nicht von „Lockerungsorgien“ abgehalten. Besonders – je nach Perspektive – bevorzugt und übereilt geöffnet hat er dabei natürlich die Kirchen. Wir selbst hatten noch vor dem vorschnellen Wiedererlauben von Gottesdiensten gewarnt – mit Recht. Zahlreiche größere Infektionsketten gingen später genau von diesen Messen aus.

Schuld haben immer die anderen

Umso gravierender ist, dass die wirklich unfassbare hohe Infektionszahl des Tönnies-Werks im Kreis Gütersloh ausgerechnet auf einen solchen Gottesdienst zurückzuführen ist – während Laschet die Schuld natürlich zuerst bei eingereisten Bulgaren und Rumänen suchte, wofür er im Nachhinein um Entschuldigung gebeten hat.

Auch wenn der Ursprung nicht nur im Schlachthof selbst lag, sondern zum Teil in der erbarmungswürdigen Wohnsituation der Werksarbeiter des Schlachthofs, sind die generellen Umstände innerhalb dieser Art „Fabrik“ hauptverantwortlich dafür, dass es letztlich über 2.000 Infizierte geworden sind. 

Die anfängliche – und falsche – Schuldzuweisung Laschets in Richtung bulgarischer und rumänischer Hilfsarbeiter, die das Virus laut seiner Aussage eingeschleppt hatten, war dann schon mehr als nur eine kleine Panne. Solches Verhalten offenbart einen grundsätzlichen Mangel an Verantwortungsbewusstsein. Eine derart schnelle Vorverurteilung darf einem Staatsoberhaupt nicht passieren.

Absprachen nicht eingehalten

Außerdem wurden im Vorfeld der bundesweiten Lockerungen Regeln definiert, wie mit neuerlichen Ausbrüchen umzugehen ist. Doch Laschet hielt sich nicht daran. Spätestens am Samstag, dem 20. Juni, hätte er einen Shutdown in Gütersloh verhängen müssen. Bei der schnellen Ausbreitung dieses Virus können bereits wenige Tage Verspätung ein deutlich größeres Risiko mit sich bringen und die Zahl der Infizierten stark erhöhen.
Erst am Montag darauf jedoch entschied sich Laschet zu diesem unvermeidbaren Schritt. Gütersloh bezahlt nun Laschets Versagen mit mehr Infizierten und wird zusätzlich alle Nachteile eines Shutdowns hinnehmen müssen – und diesen vermutlich länger ertragen müssen, als bei einer schnelleren Reaktion nötig gewesen wäre.

Wir hoffen, dass wenigstens die anderen Politiker, die in verantwortungsvollen Positionen sitzen, aus diesen Fehlern lernen und diese Krise so ernst nehmen, wie sie bedauerlicherweise nun einmal ist. Allein ist er aber natürlich nicht. Beispielsweise lehnt Sahra Wagenknecht von der Linken die Installation der Corona-App ab, weil sie nicht wisse, was da alles „abgefragt und gefunkt“ wird – obwohl wahrscheinlich kaum eine App bisher transparenter entwickelt und so umfangreich und öffentlich durchleuchtet und diskutiert wurde, sodass selbst die sonst besonders kritischen Experten kaum etwas auszusetzen haben. 

Sei es nun aus Populismus, Eitelkeit oder Inkompetenz: Es ist fast immer schädlich, wenn Politiker sich nicht von Experten beraten lassen. In dieser Krise wird dies nun umso deutlicher.